Redebeitrag von unserer Kundgebung am 28.10.2023

Der folgende Beitrag stammt von einem Israeli, der zurzeit in Oldenburg wohnt und wegen der aufgeheizten Stimmung anonym bleiben möchte.

„Alle jüdischen Feiertage können zusammengefasst werden: Man hat versucht uns umzubringen, wir haben gewonnen, lasst uns essen!“
Alan King, jüdisch-amerikanischer Komiker

Seitdem ich denken kann, trage ich mit mir die historische Last des Jüdischseins. In der Schule habe ich gelernt, was für dunkle Zeiten unser Volk erlebt hat: Sklaverei in Ägypten, Existenzkrieg im Lande Israel, Exil, Genozidversuch in Persien, religiöse Verfolgung von mehreren Reichen und Kaisertümern, Pogrome und vor allem der Holocaust, der eigentlich nur vor 80 Jahren, in unserer bereits modernen Welt, stattfand. Das habe ich im Geschichtsunterricht gelernt, und mir war es immer klar: Das ist doch Geschichte. Jetzt haben wir unseren Staat und haben die Macht und die Verantwortung, uns zu verteidigen. Jetzt sind wir sicher. Sowas kann Juden und Jüdinnen nicht mehr passieren.
Am 7. Oktober ist es aber wieder passiert: Hunderte unschuldige Juden und Jüdinnen wurden in ihren Häusern ermordet und gequält auf die grausamsten Weisen, die man sich vorstellen kann: gefesselt, vergewaltigt, Körperteile entfernt, erstochen, erschossen, lebendig verbrannt, Kinder vor ihren Eltern, Eltern vor ihren Kindern, Männer, Frauen, Kinder, Babys, Senioren – alle warten vergeblich darauf, gerettet zu werden. Über 200 Menschen wurden sogar nach Gaza entführt und werden dort momentan als Geiseln gehalten. Diejenigen, die das Glück hatten, die Gräueltaten zu überleben, sind wahrscheinlich für ihr ganzes Leben gezeichnet, und einige haben schon Selbstmord begangen.

Ein paar Tage nach diesem Pogrom habe ich mit meinen Freunden aus Israel telefoniert. Da habe ich meinen Freunden erzählt, wie es mir im Allgemeinen geht und wie ich mich wie der typische Jude in der Diaspora fühle. Dazu meinte ein Freund: „Jetzt fühlen wir uns alle wie Juden in der Diaspora“.

Dieses Gefühl von Jüdisch in der Diaspora zu sein, wird immer stärker, wenn ich auf Twitter gehe. Da sehe ich jeden Tag neue Zeugnisse und erfahre jedes Mal, was für Gräueltaten im Namen von Judenhass noch gemacht werden. Dazu kommen auch die Kommentare. Zuerst gibt es diejenigen, die das ernst diskutieren: wurden 40 Babys enthauptet oder nicht, wurden sie enthauptet bevor oder nachdem sie ermordet wurden, wurden sie nur enthauptet oder auch verbrannt. Als ob die Abfolge einen Unterschied machen würde. Als ob sie unterscheiden zwischen Terror und legitimem Befreiungskampf. Dann sind da diejenigen, die das leugnen: „Hamas ist keine Terrororganisation, sondern eine Befreiungsbewegung. Kann nicht sein, dass sie sowas gemacht haben“. Mit diesen Leuten ist nicht zu reden. Sie sind so besessen von ihrer Meinung und ihrer Theorie der Welt, dass sie einfach alles leugnen würden, was damit nicht übereinstimmt.

Aber die Schlimmsten sind diejenigen, die das begründen können. Ihretwegen schreibe ich diesen Beitrag. Immer noch können liberale, progressive, moderne Menschen, Taten wie Mord, Quälerei, Vergewaltigung und Entführung begründen, wenn die Opfer dieser Taten jüdisch sind.

„ja, aber die Unterdrückung der Palästinenser“, sagen sie.
„ja, aber die Kinder in Gaza“, sagen sie.
„ja, aber Israel ist genauso böse“, sagen sie.

Zu diesen Behauptungen soll es nur eine richtige Antwort geben: „schämt euch“.
Schämt euch, dass ihr euch nicht eindeutig gegen den Mord von Unschuldigen positioniert.
Schämt euch, dass, egal was für monströse Taten gezeigt werden, ihr eine Weise findet, sie zu begründen.
Schämt euch, dass ihr, bewusst oder unbewusst, Antisemiten seid.

Ich war immer vorsichtig, Leuten Antisemitismus vorzuwerfen. Natürlich ist nicht jede Kritik gegen Israel antisemitisch, besonders wenn es um Menschenrechte der Palästinenser geht. Aber in diesem Fall ist es keine Kritik. Also warum begründen diese Leute die Taten von Hamas? Warum sind sie einverstanden mit dem Massaker von hunderten von Unschuldigen? Waren sie auch mit 9/11 einverstanden? Warum wurde die Leiterin einer Synagoge in Detroit diese Woche ermordet? Warum wurde „gas the Jews“ geschrien in einer Pro Palästina Demo in Australien? Warum wurden Wohnungen von Juden in Berlin mit Davidstern markiert? Warum wurde die Wohnung eines alten jüdischen Pärchens in Frankreich in Brand gesetzt? Warum werden jüdische, nicht nur israelische, Einrichtungen weltweit strikter überwacht? Mir ist die Antwort ganz klar. Und euch?

Wenn ihr hier seid, seid ihr wahrscheinlich keine Antisemiten. Trotzdem habt ihr die Verantwortung, gegen Antisemitismus zu kämpfen. Denn Antisemitismus ist nicht nur ein Problem der Juden, sondern auch ein Problem jeder Gesellschaft, in der es Antisemitismus gibt. Antisemitismus ist auch ein deutsches Problem. Und momentan ist das Schweigen in Deutschland zu laut. Olaf Scholz und seine Regierung haben die Taten schon verurteilt. Scholz selber war schon in Israel, um Solidarität mit Israel zu zeigen. Das ist aber leider nicht genug. Wenn Scholz von legalen Aktionen gegen Unterstützer der Hamas Taten redet und wenn die Polizei gegen radikale Aktivisten vorgeht, wird das kritisiert mit Ausreden wie Islamophobie und Redefreiheit. Es ist deswegen unsere Verantwortung als Gesellschaft sicherzustellen, dass Redefreiheit nicht gegen unsere Gesellschaft und ihre Werte benutzt wird.
Wir dürfen keine Parolen wie „mit Blut und Feuer werden wir Alaqsa neu erobern“, „from the river to the sea, Palestine will be free“, und weitere Parolen dulden, die die Idee äußern, dass Israel nicht existieren darf. Und ja, auch die Parole „Kindermörder Israel“, die Israel als ein Monster bezeichnet, das Kinder gerne tötet und vor einer Woche auf der Pro-Palästina Demo hier in Oldenburg gebrüllt wurde, dürfen wir nicht tolerieren.

Wir sollten auch einen Blick darauf werfen, was in den Unis passiert. In Israel haben alle Uni Präsidenten die Taten der Hamas eindeutig verurteilt, und haben gedroht, Studenten und Studentinnen, die diese Taten unterstützen, zu verweisen. Wie haben sich deutsche Universitäten positioniert? Hat das Präsidium der Uni Oldenburg sich eindeutig gegen den Terror der Hamas positioniert? Haben jüdische und israelische Studierende irgendwelche Unterstützung von der Uni bekommen, oder ein Angebot für solche Unterstützung? Die Antwort ist leider nein, und bereits diese Woche wurden bereits zum zweiten Mal nach dem 7. Oktober Flyer in der Uni ausgelegt, in denen die Gräueltaten der Hamas bezeichnet wurden als eine „logische Konsequenz, Ausdruck des Wunsches die Mauern zu durchbrechen und nach Freiheit zu streben“.

Bisher habe ich nur die Realität, wie sie ist, bezeichnet. Die Realität ist traurig und sie macht mich wütend und zum Teil frustriert, aber ich wurde so erzogen immer das zu machen, was ich machen kann. Heute kann ich meine Gefühle und Gedanken mit euch teilen, und hoffen, dass ich jemanden hier inspiriere. Schaut euch die Berichte der Zeugen und Zeuginnen an, lernt die Fakten, und kämpft für die Wahrheit. Denn die Wahrheit ist, dass es wirklich zwei Seiten gibt:

• Eine Seite, die versucht, Zivilisten nicht zu schaden, und eine Seite, die auf Zivilisten zielt.
• Eine Seite, die Zivilisten anruft, um sie vor Bombardierungen zu warnen, und eine Seite, die Zivilisten als menschlichen Schutzschild benutzt.
• Eine Seite, die in Bildung und Industrie investiert, und eine Seite, die in Raketen und Bomben investiert.
• Eine Seite, die das Leben glorifiziert, und eine Seite, die den Tod glorifiziert.

Jetzt wählt eure Seite.

Dankeschön, Toda Raba, am Jisra’el Chai

Bildquelle: https://www.instagram.com/p/Cy83DliCWqF/?igshid=MTc4MmM1YmI2Ng==

                                                       

Hinterlasse einen Kommentar